Ein Ersatz von Borsäure bringt deutliche Vorteile für die Oberflächenbeschichtung

Blei, Cadmium, PFOS, Cr(VI). Mit Arsen und Hydrazin haben wir uns schon lange abgefunden. Die Liste ließe sich beliebig lange fortführen. Aber Borsäure? Dass Borsäure unter die Stoffe fällt, deren Verwendung aufgrund ihres Gefährdungspotentials verboten werden könnte, fällt schwer zu glauben. Nun, Blei ist seit dem Altertum als giftig bekannt und fluorierte oder generell poly-halogenierte Kohlenwasserstoffe wollen wir auch nicht wirklich als Bestandteil unserer Biosphäre haben. Borsäure andererseits ist als Zusatzstoff von Gläsern, Pestiziden und Farbanstrichen allgegenwärtig und selbst im von Deutschland und Slowenien eingereichten Antrag, Borsäure als reproduktionstoxischen SVHC-Stoff (substance of very high concern) zu deklarieren, wird beschrieben, dass epidemiologische Studien am Menschen bislang fehlen bzw. ungenügend sind, um nachteilige Effekte auf die Fruchtbarkeit auszuschließen. Im Grunde bedeutet es, dass es bis dato keine Studie gibt, die beweist, dass Borsäure für den Menschen reproduktionstoxisch Wirkung hat und damit gefährlich ist.

Nichtsdestotrotz, die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass wenn der Gesetzgeber ein Verbot androht, dieses früher oder später in Kraft treten wird. Zudem gibt es durchaus auch Beispiele, dass Borsäure bei entsprechend hoher Exposition insbesondere bei aquatischen Organismen zu Wachstums- und Fertilitätsstörungen führt. Daher ist es gerechtfertigt, alternative Systeme zu evaluieren.

Da Borsäure gemeinhin in Nickelbädern als Puffersubstanz bezeichnet wird und diese Nickelbäder im Allgemeinen in einem pH-Bereich von 4 bis 4.5 betrieben werden, war es naheliegend, Borsäure durch Carbonsäuren zu ersetzen. Deren pKs-Werte (ein Maß für die Stärke der Säure) liegen meist zwischen 4 und 5 und da die Pufferkapazität eines Säure-Base-Paars im Bereich dessen pKs-Wertes am besten ist, waren Carbonsäuren die scheinbar logische Wahl, um den pH-Wert stabil zu halten. Tatsächlich zeichnen sich solche Bäder durch eine außerordentlich vorteilhafte pH-Stabilität aus, die weit ausgeprägter ist, als bei Verwendung von Borsäure. Zudem sind Nickelschichten aus diesen Bädern weitestgehend porenfrei, was ein Hinweis darauf ist, dass während der Abscheidung kein oder praktisch kein festes Nickelhydroxid gebildet wird. Damit ist eine der Hauptanforderungen, die an einen Borsäure-Ersatz gestellt werden, erfüllt. Leider weisen diese Elektrolyte aber einen ganz gewichtigen Nachteil auf: Der von Borsäurebädern bekannte Glanz und vor allem die Einebnung ist weitgehend verschwunden, sodass diese Bäder für dekorative Anwendungen leider ungeeignet sind. Den Versuchen, diesem Defizit mit höheren Glanzmittelkonzentrationen entgegenzuwirken, waren anfänglich gewisse Erfolge beschieden, scheiterten früher oder später aber im direkten Vergleich mit Borsäure-Elektrolyten.

Auf der Suche nach Alternativen zu Borsäure

Klassische Nickelbäder bestehen aus einem Gemisch von Nickelsulfat und Nickelchlorid, Borsäure, Netzmittel, sogenannten Grundglänzern, wie zum Beispiel Natrium-Saccharin, sowie einebnenden Substanzen, die im Allgemeinen eine Alkingruppe als Funktionalität aufweisen. Nun gehört es zum kleinen Einmaleins des Koordinationschemikers, dass nicht nur Pufferkapazitäten im Bereich des pKs-Wertes am höchsten sind, sondern auch Komplexstabilitäten zwischen Komplexbildnern und Metallionen. Und hier besteht ein entscheidender Unterschied zwischen Nickel und Borsäure einerseits und Nickel und Carbonsäuren andererseits. Im Arbeitsbereich eines Nickelbades findet eine ausgeprägte Komplexbildung zwischen Nickel und Carbonsäuren statt, während dies mit Borsäure aufgrund des höheren pKs-Wertes erst bei höheren pH-Werten stattfindet. Zwar ist durchaus bekannt, dass je nach Medium, Reaktionspartner, Konzentration und Temperatur Borsäure pKs-Werte annehmen kann, die mit Carbonsäuren vergleichbar sind, allerdings begünstigen die Betriebsparameter von Nickelbädern eher höhere pKs-Werte, die die starke Komplexbildung bei pH 4 bis 4.5 zwischen Nickel und Borsäure unwahrscheinlich machen.

Es scheint daher nicht so wichtig zu sein, welche Wirkung Borsäure hat bzw. was sie tut, sondern viel mehr, was sie eben nicht tut, nämlich Ni2+ koordinativ zu sättigen und damit für einebnende Substanzen unzugänglich zu machen.

Zusammengefasst muss ein Borsäure-Ersatz zwei Bedingungen erfüllen: einerseits eine möglichst geringe Neigung Nickel im Bereich des Arbeits-pH-Wertes zu binden, was im Gegenzug eine direkte Bindung zwischen Einebner und Nickel erlaubt, aber andererseits – beim und leicht unterhalb des pH-Wertes, bei welchem Nickel-Hydrolyse einsetzt – Nickel sehr stark zu binden, um so die Bildung von Nickelhydroxid zu verhindern.

Die Lösung

Die riag Oberflächentechnik AG hat eine ganze Verbindungsklasse identifiziert, welche die oben genannten Bedingungen geradezu perfekt vereint. Die daraus abgeleiteten Produkte sind nun im Begriff nach einer erfolgreich abgeschlossenen Testphase borsäurehaltige Verfahren schrittweise zu ersetzen. Besonders hervorzuheben sind folgende Merkmale:

  1. Erweiterung des Arbeitsfensters: Die neue Verbindungsklasse erlaubt ein Beschichten bei höheren pH-Werten. Damit kann neu zwischen pH 3.8 bis in Extremfällen pH 5.5 beschichtet werden, ohne dass dabei Abtrennungen im hohen Stromdichtebereich beobachtet werden.
  2. Verbesserung der Duktilität: Die effiziente Unterdrückung der Nickelhydroxid-Bildung verhindert weitgehend eine Versprödung der Nickelschicht.
  3. Reduzierter Additiv-Verbrauch: Da der Abbau von Additiven unter anderem vom pH-Wert abhängig ist, steht es dem Beschichtet offen, die Beschichtungsparameter so anzupassen, dass bei gleichbleibenden dekorativen Eigenschaften ein signifikant reduzierter Additiv-Verbrauch resultiert.
  4. Verbesserte Schichtdickenverteilung: Die für den Oberflächenbeschichter wahrscheinlich interessanteste Eigenschaft ist die gleichmäßigere Schichtdickenverteilung, welche deutlich kürzere Beschichtungszeiten erlaubt.
  5. Vollständige Kompatibilität der neuen Verbindungen mit Borsäure: Damit wird ein nahtloser Übergang von Borsäure zu den neuen Verfahren gewährleistet, ohne dass dabei Produktionsunterbrechungen befürchtet werden müssen.

Abschließend kann festgehalten werden, dass was anfänglich als staatlich verordnete Zwängerei wahrgenommen wurde, sich als Glücksfall für die Technik erweist. Während das Blei- und Chrom(VI)-Verbot mit erheblichen Qualitätseinbußen beim Endprodukt einhergeht, scheint bei der Borsäure-Substitution das Gegenteil der Fall zu sein.

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research and development

Dr. André Egli
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